"Vertreibung" von Mario Schumann

"Vertreibung" von Mario Schumann

„Du musst jetzt gehen.“, sagte der kleine Wolf. Das Kind, das sich gerade vergnügt mit dem schwarzen Plüschaffen balgte, verstand nicht gleich.
„Gehen?“
„Fort von hier,“, sagte der kleine Wolf, „du musst uns jetzt verlassen.“
Das Kind konnte nicht verstehen was der kleine Wolf damit meinte, aber es spürte dass es etwas Schreckliches war. Es fing an zu weinen. Ängstlich blickte es zum alten Teddy, doch der sagte nichts, seine schwarzen Augen schienen wie immer in weiter Ferne zu verweilen.
„Du musst jetzt gehen, komm, es ist Zeit.“ Sagte der kleine Wolf.
„Aber ich will doch nicht gehen, es ist so schön hier. Ich will bei euch bleiben.“, sagte das Kind mit schluchzender stimme. Tränen kullerten über sein Gesicht, viele Tränen.
„Du kannst hier nicht bleiben. Für dich ist die Zeit gekommen zu gehen.“, sagte der kleine Wolf. Alle Tiere waren schweigend näher gekommen um still Abschied zu nehmen von dem Kind.
„Geh nun.“, sprach der kleine Wolf.
Schmerz und Tränen erstickten jeden Einwand des Kindes. Es wollte nicht gehen, doch es wusste in seinem Inneren das es nicht bleiben konnte.
„Da raus...in die Wüste?“, fragte zitternd das Kind den kleinen Wolf.
„Ja, dort hin, da ist dein Platz.“, erwiderte der kleine Wolf.
„Könnt ihr nicht mitkommen? Da ist sonst niemand.“
„Du musst alleine gehen“, sagte der kleine Wolf, „wir müssen hier bleiben. Du wirst uns vergessen.“
Stumm blickte das Kind die Tiere an, die sich am Tor versammelt hatten, und stumm blickten sie das Kind an. Alle waren sie gekommen um Lebwohl zu sagen, sogar der alte Teddy schaute von weit hinten auf das Kind. Ein letztes Mal sah es seine Freunde, dann drehte es sich um und ging langsam durch das Tor nach draußen, in die Wüste.
Die Tiere standen noch lange am Tor und blickten dem Kind nach wie es sich immer mehr entfernte. Das Kind ging langsam und ab und zu schaute es sich um, in Richtung seiner Freunde, den Tieren, die es verlassen musste, bis sie gänzlich am Horizont verschwunden waren. Die Tränen zeichneten seinen Weg, gierig aufgesogen vom Sand und von der Sonne bald verzehrt.
Schon lange wandert es durch die Wüste, doch vergessen hat es die Tiere nie. Manchmal, wenn es sich an sie erinnerte, zeichnete es ihre Gesichter in den Sand, um sie nicht zu vergessen. Kalte Tränen tropften dann auf den Boden. Und bei Vollmond, wenn das Kind schon längst weiter gezogen war, dann erwachten ihre Antlitze zu sonderbaren Leben und dort, wo die Tränen auf sie gefallen waren, blühten kleine, blutrote Blumen.

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